Nordamerika



Edgar Allan Poe



Annabel Lee

Es sind viele, viele Jahre her,
Dass am Meeresufer allhie
Ein Mädchen lebte - o fragt nicht mehr! -
Mit Namen Annabel Lee.
Und dies Mädchen lebte für mich allein,
Und ich lebt' allein für sie.

Ich war ein Kind und sie war ein Kind,
Am Meeresufer allhie,
Doch wir liebten uns heißer, als Liebe liebt,
Ich und schön Annabel Lee, -
Liebten uns so, dass die Engel im Blau,
Bedräueten mich und sie.

Und dies war der Grund, dass vor langer Zeit
Am Meeresufer allhie
Ein schnaubender Wind aus der Wolke traf
Die liebliche Annabel Lee;
So dass ihr hoher Verwandter kam
Und den Leib der Erde verlieh,
Und sie schloss in ein Grab, so finster und kalt
Am Meeresufer allhie.

Die Engel, nicht halb so glücklich im Blau,
Beneideten mich und sie -
Ja, dies war der Grund (wie ein Jeder weiß
Am Meeresufer allhie),
Dass der Wind aus der Wolke zur Nachtzeit brach,
Schnaubend mir raubend schön. Annabel Lee.

Doch stark wie unsere Liebe war
Die Liebe viel Alterer nie,
Die Liebe viel Weiserer nie;
Und weder der himmlische Englein Schar,
Noch der Meergeister Grollen allhie
Kann scheiden in Leiden mein Sein von dem Sein
Der lieblichen Annabel Lee!

Kein Mondstrahl erblinkt, der mir Träume nicht bringt
Von der lieblichen Annabel Lee;
Und kein Stern sich erhebt, drin das Auge nicht schwebt
Der lieblichen Annabel Lee;
So ruh' ich bei der Nacht, von der Reinen umwacht,
Der Einen, der Meinen, die ewig mir lacht,
In dem Grab am Ufer allhie,
Am tönenden Ufer allhie.

Edgar Allan Poe, 1809-1849
Übersetzer: Adolf Strodtmann, 1829-1879



Einer im Paradies

Ach, Alles warst du mir, mein Lieb,
Mein Lieb, so hold und rein -
Ein Bronnen und ein Schrein,
Umkränzt mit Blumen ohne Zahl
Und alle Blumen mein!

Ein schöner, wonn'ger Traum!
O, gold'ne Hoffnung! Ach, zu bald
Zerflossest du, wie Schaum.
Die Stimme aus der Zukunft schallt:
"Auf! Auf!" - doch an den Saum
Der Einst irrt mein verstörter Geist -
Ich leb' und weiß es kaum.

Denn ach und ach! für mich
Ist jetzt das Leben leer!
Nicht mehr - nicht mehr - nicht mehr -
(So hör' ich rauschen feierlich
Am Strand das ew'ge Meer)
Begrünt auf's Neu die Eiche sich,
Fliegt stolz der Aar einher.

Ich weiß es, wieder lenzen
Kann es mir dorten nur,
Wo deine Augen glänzen,
Wo leuchtet deine Spur -
In sel'ger Geister Tänzen
Auf grüner Himmelsflur.

Edgar Allan Poe, 1809-1849
Übersetzer: Friedrich Spielhagen, 1829-1879



Liebesgedichte Nordamerika An Helene

Ich sah dich einmal - einmal nur vor Jahren! -
Mittnacht im Juli war's und von dem Mond,
Dem vollen, der, wie deine Seele strebend,
Sich einen steilen Pfad zum Himmel bahnte,
Ein seidenweicher Silberschleier fiel
Mit heil'ger Ruh und Dunkelheit und Schlummer
Auf das erhob'ne Antlitz vieler hundert
Von weißen Rosen, die im Garten wuchsen,
Wo nur verstohlen sich ein Lüftchen regte -
Auf das erhob'ne Antlitz weißer Rosen,
Die in Erwied'rung für das Liebeslicht
Die duft'ge Seele wonnenvoll verhauchten,
Auf das erhob'ne Antlitz weißer Rosen,
Die auf den Beeten lächelten und starben,
Entzückt von dir und deiner heil'gen Nähe.

Gehüllt in Weiß, auf eine Veilchenbank
Sah ich dich hingelehnt; es fiel der Mond
Auf das erhob'ne Antlitz weißer Rosen -
Und auch auf deins - erhoben - ach! In Schmerzen.

War's nicht das Schicksal, das in dieser Nacht -
Das Schicksal, dessen andrer Nam' ist Schmerz -
Mich weilen hieß an jener Gartenpforte,
Den Duft zu atmen jener süßen Rosen?
Nichts regte sich - es schlief die schnöde Welt -
Nur du und ich nicht. Und ich weilte - schaute -
Und alsobald verschwanden alle Dinge -
Ach, ganz gewiss, der Garten war verzaubert -
Des Mondes matter Perlenglanz verlosch;
Die moos'gen Bänke, die verschlung'nen Pfade,
Die sel'gen Blumen und die stillen Bäume -
Ich sah sie nicht - die Rosendüfte selbst,
Sie starben in der Lüfte weichen Armen;
Und Alles schwand, nur du nicht - und selbst du -
Nur nicht das Himmelslicht in deinen Augen.
Ich sah nur sie - sie waren meine Welt -
Ich sah nur sie - und nur für wen'ge Stunden -
Ich sah nur sie - bis sank der volle Mond.
Welch' dunkle Herzensrätsel schaut' ich nicht
In diesen demantklaren Himmelssphären!
Welch' düst'res Weh! Welch' hohe Hoffnung doch!
Welch' schweigend' königliches Meer von Stolz!
Welch' kühnen Ehrgeiz' ach, und welche tiefe,
Welch' abgrundtiefe Fähigkeit für Liebe!

Und nun zuletzt versank der volle Mond
Im Western hinter schwarzen Wetterwolken,
Und wie ein Geist durch geisterhafte Bäume
Verschwandest du. Nur deine Augen blieben.
Sie schwanden nicht - sie können nimmer schwinden.
Sie hellten meinen Pfad in jener Nacht,
Sie ließen nimmer mich - wie doch mein Hoffen -
Sie folgen mir - sie leiten mich durch's Leben -
Sie, meine Diener, und ihr Sklave, ich.
Ihr Amt, mich zu erleuchten, zu entflammen -
Und meine Pflicht, entflammt, erleuchtet sein -
Geläuterter von ihrem hehren Feuer,
Geheiligter von ihres Himmels Glut.
Mit Schönheit füllen sie die Seele mir.
Ich knie hin vor diesen hohen Sternen
Im düstern Schweigen schlummerloser Nacht,
Und selbst noch in des Tages Mittagsglanze
Seh' ich sie stets, zwei süße Morgensterne,
Die selbst die Sonne nicht verlöschen kann.

Edgar Allan Poe, 1809-1849
Übersetzer: Friedrich Spielhagen, 1829-1879



Frances Sargent L. Osgood



Lied

Wenn Alle, die vor mir das Knie
Gebeugt mit Sang und Liebesscherz,
Sich nur zum Schein der Tugend weih'n:
Doch beugte nie sich dir mein Herz!

Die Lippe, die mir Treue schwört,
Muss unbefleckt von Liebe sein;
Das Herz, dem meins dereinst gehört,
Muss sich vor mir der Ehre weihn.

Und wärest du ein Fürst der Welt,
Und ich ein Sklav' in Kettenerz -
Ob mein Gebein am Fels zerschellt':
Ich beugte nimmer dir mein Herz!

Bis seine Schicksalsstunde schlug,
Will ich es wahren stolz und rein;
Ob ihm Verderben bringt dein Trug:
Es breche eh'r, als dass es dein!

Frances Sargent L. Osgood, 1813-1850
Übersetzer: Adolf Strodtmann, 1829-1879



Für dich!

Für dich schmück' ich und binde mein Haar
Mit duft'gen Blumen, für dich allein,
Deinen sanften Tadel fürcht' ich nur,
Deine Lieb' ist all' mein Sein.

Für dich putzt mich mein schönstes Kleid,
Einfach und nett, für dich allein,
Kein and'res Auge soll in der Stadt
Sich mir in Liebe weihn.

Für dich stimm' ich der Lauten Klang,
Sonst wär' sie stumm, allein für dich,
Für die Biene ist des Juni Hauch
Nicht das, was du für mich.

Frances Sargent L. Osgood, 1813-1850
Übersetzer: Alexander Büchner, 1827-1904



Richard Henry Stoddard



Gesetz der Liebe

Für Herzen, die sich lieben, gibt
Es Sünde nicht noch Schuld;
Des niedern Staubes Macht zerstiebt
Vor ihrer Liebe Huld.

Sie sind Gesetz sich selber nur,
Fremd jeder andern Pflicht;
Das Wahngesetz der Erdenflur
Bezwingt, erschreckt sie nicht.

Drum sagt mir niemals: "Liebe beugt
Sich eitler Mächte Wort -"
Denn jeden Fehl des Liebsten scheucht
Der Liebe Lächeln fort.

Richard Henry Stoddard, 1825-1903
Übersetzer: Adolf Strodtmann, 1829-1879



Im Harem

Der Duft von glühendem Sandelholz
Durchwallt umsonst die Luft;
Denn heiße Glut füllt mir das Hirn,
Den Sinn ein süßer Duft.

Press' deine Lipp' auf meine fest!
Nicht sei dem Kuss gewehrt,
Bis dass mein Herz die Süßigkeit
Des Deinen all' geleert.

Der Garten tönt vom Saitenklang,
Hell blinkt des Mondes Strahl -
Doch wir, den Sternen gleich, zergehn
In Wolken süßer Qual.

Richard Henry Stoddard, 1825-1903
Übersetzer: Adolf Strodtmann, 1829-1879



Serenade

Der Mond ist wolkennachtumhüllt,
Der liebe Sternbild schwand,
Doch tönt die sanfte Guitarre süß,
Gespielt von liebender Hand.

O holde Dame, wenn du wachst,
Du Schönste im weiten Land,
So öffne das blumige Gitter du
Und winke mit schneeiger Hand.

Sie hört mich nicht, ein tiefer Schlaf
die Seele fest umwand;
Doch oft den Schlüssel zum Herzensschrein
Musik, die göttliche, fand.

So ruhe sanft, und wenn mein Sang
Nicht löst des Schlummers Band,
So fließt mein Lied in ihren Traum:
Mein Traumbild vor ihr stand.

Richard Henry Stoddard, 1825-1903
Übersetzer: Adolf Strodtmann, 1829-1879



John Aylmere Dorgan



Medusa

Sag nicht, dass ich dir Herz und Sinn
Betört mit listiger Schmeichelei!
Ists meine Schuld, dass schön ich bin?
Ists deine Sünde, dass ich frei?

Ich wusste nicht, du könntest mich
Nicht sehn und leben. - Wie ein Buch
Kann schließen unsre Freundschaft ich,
Kann sie zertreten leicht genug!

Ich tu dir nicht mehr weh. Enteil!
Medusa, Ärmster, war ich dir.
Mein sanftes Aug traf dich als Pfeil,
Doch fluche dem Geschick, nicht mir.

John Aylmere Dorgan, 1835-1867
Übersetzer: Adolf Strodtmann, 1829-1879



James Russell Lowell



O Mondlicht

O Mondlicht, wunderbares,
Ein Jahr ist's, seit im Hag
Dein Leuchten schien, dein klares,
Mir zum Verlobungstag.

O dunkellaub'ge Rüstern,
Noch rauscht von Baum zu Baum
Der Winde sanftes Flüstern
Und klingt in meinem Traum.

O Strom im Dämmerweben,
Lass blinken deine Flut,
Ein Teil von meinem Leben
In deinem Schosse ruht.

O Sterne, unsre Liebe
Habt ihr allein belauscht,
Als heisser Sehnsucht Triebe
Zwei Herzen hold getauscht.

O selige Nacht, gib wieder
All' ihre Küsse mir;
Wo nicht, so send' ihr nieder
Vielsüssen Traum von mir.

James Russell Lowell, 1835-1867
Übersetzer: Adolf Strodtmann 1829-1879



Ständchen

Durch die Fensterläden kein Lichtstrahl wallt,
Die Nacht ist finster, die Nacht ist kalt,
Die Tannen seufzen, es bebt der Turm,
Mein Haar durchwühlt der herbstliche Sturm,
Vor deinem Fenster sing' ich allein,
Alleine, alleine, ach, ganz allein.

Schwarz wird und schwärzer das Dunkel schon,
Die Scheiben klirren mit ängstlichem Ton,
Kaum lugt ein Stern am Himmel hervor,
Nur schaurige Klage berührt dein Ohr,
In deinem Kämmerlein sitzt du allein,
Alleine, alleine ach, ganz allein.

Die Welt ist glücklich, die Welt ist weit,
Voll freundlicher Herzen, zur Liebe bereit;
Was liegen so kalt wir, vom Sturme umgellt,
Allein in der Muschel der großen Welt?
Warum doch bleiben wir länger allein,
Alleine, alleine, ach, ganz alleine.

O, 's ist ein bitter und traurig Wort,
Bei dessen Klang das Herz verdorrt!
Wir sind Beide jung, haben Beid' ein Herz,
Was quält uns denn ewiger Trennungsschmerz?
Ach, bleiben wir immer und immer allein?
Alleine, alleine, ach, ganz allein!

James Russell Lowell, 1835-1867
Übersetzer: Adolf Strodtmann 1829-1879



John James Piatt



Das erste Liebespfand

Sie bricht vom Strauch eine Rose
Und küsst ihre Seele ihm zu -
Fern über Traum und Raum und Zeit
In wechselloser Ruh.

Er entreißt ein Lied seinem Herzen;
Voll blumenduftiger Zier,
Fern über Traum und Raum und Zeit
Entfliegt es fern zu ihr.

So grüssen sie allewig
Sich durch den Weltenraum -
Doch ist es nur ein Traum für sie,
Und sie ein Dichtertraum.

John James Piatt, 1835-1917
Übersetzer: Adolf Strodtmann, 1829-1879



Der Liebesbrief

Willkommen, Liebesbriefchen!
Ich küsse dich zum Gruß
Und träume ihre Lippen
Erwidern meinen Kuss.

Ein duftig' Rosenblättchen
Schickt mit ihr treu' Gemüt,
Sie nahm es von der Rose,
Die mir im Herzen blüht.

John James Piatt, 1835-1917
Übersetzer: Adolf Strodtmann, 1829-1879